eBook 02 Blickwinkel und Brennweite
Kap. 1.1.2 Blickwinkel und Brennweite
Im Gespräch mit Kunden ist es meist mühsam fotografische Aspekte wie Brennweiten, Fokuspunkte oder Bildkompositionen rein theoretisch zu erörtern. Bevor ich in die Entwicklung einer Szene einsteige, erstelle ich daher ein Rohmodell, anhand dessen die szenischen Elemente in reduzierter Form erprobt werden können (s. Abb. 1).
Kunden legen häufig besonderen Wert auf eine naturalistische Vegetation, zumal diese auch dazu dient, Schwachpunkte in der Kubatur und Fassadengestaltung zu cachieren. Tatsächlich kommt Pflanzen als gestalterischem aber auch emotionalem Element in einer Architekturszene enorme Bedeutung zu. Daher versuche ich so weit möglich, die Begrünung einer Szene schon in der konzeptionellen Phase vorzudefinieren.
Die Szene „Stadtvilla“ fokussiert allein auf das Objekt und verfügt abgesehen von der Front- und Rückansicht nur über wenige Weg- oder Blickachsen, die unterstützend bzw. dynamisch wirken. Bezüge zur Umgebung sind ebenfalls nur bedingt vorhanden, zumal die Seitenfassaden des Gebäudes nicht frei einsehbar sind und die Kamera daher in diesen Bereichen sehr nah an das Objekt herangeführt werden müsste.
Bei der geringen Distanz zwischen Kamera und Objekt wirken niedrige Brennweiten mit ihrer starken Kantenverzerrung und stürzenden Linien unruhig. Sie transportieren zwar eine größere Tiefenwirkung und können die Bezüge von Bildebenen besser darstellen, als hohe Brennweiten mit einer flachen Bildwirkung, doch werden niedrige Brennweiten oft als zu dynamisch bzw. verfremdend wahrgenommen (s. Abb. 2).
Der Charakter unserer Szene soll ruhig, dokumentatorisch wirken, sowie auf den konkreten Raum fokussieren, ohne Bezüge zur Umgebung zu konstruieren bzw. visualisieren. Hierfür eignen sich besonders Frontalansichten, da sie das Bild mit den symmetrischen Fluchten und parallelen Kanten stabilisieren und es dem Betrachter leicht machen, den eigenen Blickpunkt im Motiv zu verorten (s. Abb. 3).
Die statische, dokumentatorische Wirkung kann durch einen etwas höheren Kamerastandpunkt noch verstärkt werden. Solche Ansichten wirken aufgrund der fehlenden Dynamik häufig dioramenhaft und unpersönlich. Soll dagegen mehr Spannung in die Szene getragen werden, ist ein niedriger Standpunkt vorzuziehen (s. Abb. 4).
Erheblichen Einfluss auf die Bildwirkung und Motivsprache hat die Wahl eines Hoch- oder Querformats. Natürlich ist hier die Grundform des Motivs mitbestimmend, also die Frage ob der Baukörper hoch/schlank oder eher flach/breit angelegt ist. Allerdings vermitteln insbesondere bei Nahaufnahmen und Ausschnitten von größeren Arrangements hochformatige Aufnahmen einen intimeren Eindruck, wobei sich der Betrachterfokus durch den Einsatz von Tiefenschärfe gezielt steuern lässt.
Gewohnheitsmäßig kann das menschliche Auge Szenen, die aus einer natürlichen Betrachterposition (Augenhöhe) heraus aufgenommen wurden, am schnellsten und eindrücklichsten verarbeiten. Die Kameraposition sollte für Aufnahmen, die nicht gezielt auf Verzerrungen als stilistisches Merkmal setzen, auf einer Höhe zwischen 160cm und 180cm liegen (s. Abb. 5).
Liegt der Fluchtpunkt in einer Zentralperspektive ober- oder unterhalb des Horizonts, ist man mit stürzenden Linien/Kanten konfrontiert. Da das menschliche Auge solche Linien nicht kennt bzw. unbewußt ausgleicht, sollten sie in Szenen, die v.a. illustrativ-dokumentatorischen Charakter haben, vermieden werden. Entsprechend den Tilt-Shift-Objektiven der Architekturfotografie bietet Cinema 4D hierfür passende Kamera-Einstellungen (Film Offset-Einstellungen des Kamera-Objekts).
Die Fortsetzung dieses Kapitels mit vielen weiteren nützlichen Informationen und Links zum Thema Szenen-Komposition und -Konzeption findet ihr im Handbuch „Professionelle Architekturvisualisierungen mit Cinema 4D„ zu finden, das online im Gumroad-Shop zu erwerben ist. Eine englische Fassung liegt dort ebenfalls vor.